Postfaktizität, Confirmation Bias und Eskapismus

Boah  - da bloggt die Frau wochenlang nicht und dann sowas! Ja, manchmal muss ich auch ein bisschen Bullshit Bingo spielen und zeigen, was für tolle Begriffe ich kenne. Aber worum geht es hier überhaupt?

Der Begriff „postfaktisch“ ist das Wort des Jahres 2017 gewesen und bezog sich vor allen Dingen auf die politische Rhetorik im US-Wahlkampf 2016 und das Brexit-Referendum. Kein Wunder also, dass nicht nur die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wörtchen so mochte; auch das britische Pendant, vom Oxford English Dictionary gekürt, „post-truth“ schlug in die gleiche Kerbe. Wobei „post-truth“ es eigentlich besser verdeutlich: Es geht weder um Fakten, noch um Wahrheit – es geht einzig und allein darum, andere zu überzeugen. Kommunikation in Reinform, wenn man so will. Wenngleich in höchst manipulativer Weise. Und doch so nützlich!

Warum lassen sich Menschen so sehr manipulieren? Wo Fakten und Wahrheit doch selten so transparent waren, wie im Zeitalter des Internets? Warum sind Menschen bereit, an sich offensichtliche Lügen zu glauben? Wie kann eine „gefühlte Wahrheit“ zur absoluten werden?

Ein Punkt, an dem man hier ansetzen muss, ist der so genannte „Bestätigungsfehler“ – oder eben englisch: Confirmation Bias. Das Denken an sich ist ein anstrengender Vorgang, energieaufwändig und bisweilen sogar eher unangenehm. Also suchen wir nach Abkürzungen, nach vertrauen Wegen, nach etwas, das wir schon mal gehört oder gesehen haben.

Vergleichbar mit einem Weg, den wir immer wieder fahren. Automatismen greifen. Jetzt bremsen, hier blinken, da langsamer. Wir befolgen einen ganz eigenen Regelkatalog, in dem wir auf Erfahrungen vertrauen. Und werden geblitzt. Weil da plötzlich irgendwo ein Schild stand, das „nie da“ war. Wir sind im Blindflug der Erfahrungswerte. Der Bestätigungsfehler setzt noch einen oben drauf: Weil das schon immer so war, sind wir natürlich im Recht. Und „die da“ haben das zu verantworten, dass man selbst etwas falsch gemacht hat. Confirmation Bias meint aber noch mehr: Bewegen wir uns in unbekanntem Gelände, suchen wir nach dem, was uns vertraut ist und klammern aus, was es nicht ist, was nicht unserem Weltbild entspricht: So, wie das hier aussieht, müsste es aber...

Mein Lieblingsbeispiel ist der männliche Brite, jenseits der 70, verheiratet, mit großem Anwesen, Kindern, reich… Fast jeder hat hier ein Bild vor Augen. Bei den einen ist es der Prince of Wales, Prinz Charles. Weil man den selbst ohne nennenswertes Boulevardwissen noch kennt. Eingefleischte Metalfans hingegen haben vielleicht eher den „Prince of Darkness“ Ozzy Osbourne im Kopf, der als Sänger von Black Sabbath einer Fledermaus den Kopf abbiss. Nur zur Beruhigung: Lange vor Corona.

Trotzdem hat jeder versucht, die spärlichen Informationen in ein Muster zu pressen, das er oder sie kannte. So weit nicht schlimm, verfallen wir aber dem Confirmation Bias, suchen wir auch noch gezielt nach solchen Informationen und Mustern. Nämlich solchen, die unsere ohnehin schon gefestigte Meinung zu einem Thema bestärken.

Wie Google & Facebook uns in der Bildung von Filterblasen unterstützen

Corona hat das noch mal sehr deutlich gezeigt und auch, wie Google, Facebook & Co. die Menschen in diesem Verhalten unterstützen. Wir haben es hier nämlich mit Algorithmen zu tun, die ziemlich schwer damit zu beschäftigt sind, die Intentionen des Suchenden oder Lesenden zu interpretieren.

Was passiert also? Wer sich in der Vergangenheit ohnehin schon sehr mit dem Für/Wider von Impfungen auseinander gesetzt hat und sich auf einschlägigen Impfgegner – Seiten informiert hat, wird auch jetzt, wenn es um Corona geht, entsprechende Inhalte in Social Media Feeds und Suchergebnisse gespült bekommen. Und siehe da: Man fühlt sich bestätigt, weil ja SO VIELE andere genau die gleichen Vorbehalte haben, wie man selbst. Dass man nur einen Bruchteil der Meinungen, die existieren, zu sehen bekommt, merkt man in seiner selbstgebauten Filterblase einfach nicht. Also bestätigt man sich selbst und bestätigt sich selbst und bestätigt… ok, ich denke, der Punkt ist klar geworden.

Das wiederum führt zu einem „Wir gegen die“  - Empfinden und Denken, wenn die gefühlte und immer wieder bestätigte Wahrheit ist doch so glasklar! Wie kann da jemand eine andere Meinung haben? Und diese auch noch vertreten. Es fällt immer schwerer, andere Meinungen als die eigene zuzulassen. Wir suhlen uns in der selbstgerechten Sonne des Confirmation Bias.

Nehme ich mich da aus? Nein, keineswegs. Ich bin mir vielleicht der Tatsache, dass es so ist, ein bisschen bewusster, als viele andere, aber bequem bin ich auch.

Confirmation Bias im Business

Niemand lässt sich gerne für das kritisieren, was er ist, denkt oder fühlt. Nicht auf persönlicher Ebene und auch nicht im Geschäftsleben. Mein Produkt ist schließlich toll! Ich bin zu 100% davon überzeugt. Und alle, wirklich alle, die ich gefragt habe, sehen das genauso! (Dass das kleine „aber“ nach dem „Ja…“ überhört habe, verdränge ich mal. Denn schließlich hat er oder sie „JA!“ gesagt!) Was also denkt sich dieser kleine Wicht, der mich da öffentlich kritisiert, unzufrieden ist oder – Gott bewahre – keine 5 Sterne vergibt?! Ich bin schließlich im Recht, weil ALLE es auch so sehen.

Überspitzt? Ganz sicher. Aber das ist, was jeden Tag Shopbetreibern, Händlern oder Dienstleistern widerfährt. Was Angestellte und Führungskräfte erleben: Jemand wagt es und kratzt am Lack! Da kann es lohnen, mal einen Schritt zurück zu treten und sich selbst unvoreingenommen über die Schulter zu schauen. Vielleicht war das gar kein Lack, an dem gekratzt wurde, sondern eine ziemlich rostige Stelle, die ein Loch offen gelegt hat…

Und was war jetzt mit Eskapismus?

Ach ja, da war ja noch so ein Wort im Titel. Eskapismus – ein wirklich wunderschönes Wort. Einlullend und gleichzeitig ehrlich-brutal. Was ist Eskapismus? Eskapismus ist die Flucht vor der Welt. Der echten Welt. Der Realität. Aber heute muss man sich fragen: Vor welchem „echt“ und welcher Realität? Wir leben in einer Welt, in der augenscheinlich Fakten und alternative Fakten existieren, in der Filterblasen Realitäten erzeugen und eine Welt sogar ganz jenseits von Fakten und Wahrheit existiert.

Wir leben in einer Welt, in der wir uns – nur so zum Spaß – einsperren und unter Stress setzen lassen. Entkommen als Ziel. Wir gegen die. Ein Zeitvertreib. Ein Teambuilding – Event. Am Ende hat man es geschafft. Die Uhr besiegt. Als Einheit. Zusammengeschweißt gegen die böse Welt da draußen - im Escape Room.

Kann man machen.

Am Ende ist der gewünschte Effekt sicherlich da: Das Team ist zusammengerückt. Gestärkt. Geeint. Am nächsten Tag im Büro kann man sich gegenseitig dazu beglückwünschen, wie toll man war. Auf den Kollegen, die Kollegin lässt man nix mehr kommen! Das Wir ist schließlich so verdammt-fucking-gut! Euphorie pur! Ein tolles Erlebnis. Und das große, fette Schild: Willkommen im Confirmation Bias!

Nicht falsch verstehen: Team Building ist toll und wichtig. Die Frage ist, wie man es gestaltet. Was man erreichen will? Das Team gegen den Rest der Welt? Die Kunden? Beschwerden, die nicht zugelassen werden, einfach weil es nicht sein KANN, dass die allerliebste Kollegin etwas falsch gemacht hat? Kunden, über die man sich lustig macht, weil wirklich jeder weiß, wie idiotensicher das eigene Produkt ist? Die Flucht vor der Realität ist zunehmend gesellschaftsfähig. Und sie macht ja auch Spaß! Wir tappen aber – aus reiner Bequemlichkeit – schnell in die Falle, der Welt erst zu entfliehen, um uns unsere eigene, postfaktische Wirklichkeit zu gestalten, immer wieder bestätigt durch unsere Filterblase und das konsequente „nur hören, was man will“.

Das haben wir schon immer so gemacht! Wir brauchen niemanden, der uns von außen erklärt, wie wir es besser machen können. Unser Produkt ist so gut, das spricht für sich selbst! Alles hier läuft absolut rund!

Sicher? Nein? Dann lassen Sie uns doch mal reden…

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